03.10.2025
70. Jahrestag der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper
Ein Markstein in der Geschichte des Opernhauses – und Österreichs
Die aktuelle Spielzeit der Wiener Staatsoper ist eine ganz besondere: Am 5. November jährt sich die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper nach ihrer Zerstörung in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal.
Das Haus am Ring setzt sich in diesem Herbst in vielfältiger Weise nicht nur mit den Themen Zerstörung, Wiederaufbau und Wiedereröffnung auseinander, sondern auch mit den historischen Ereignissen, die zur Zerstörung geführt haben und mit der Rolle, die die Oper dabei gespielt hat. Die Auseinandersetzung findet auf mehreren Ebenen statt – beginnend mit dem »Opern Air« im Burggarten zu Spielzeitbeginn bis zur Fidelio-Premiere im Dezember.
Die Ausstellung: Zerstörung und Wiederaufbau - 5. November 2025 bis Ende Jänner 2026
Im Balkonumgang ist ab 5. November eine Ausstellung zu sehen, die den Besucherinnen und Besuchern der Wiener Staatsoper die Möglichkeit gibt, Aspekte des Wiederaufbau-Jahrzehnts in Fotos und ausgestellten Objekten zu erfahren. Auch hier spannt sich die Erzählung von der Zerstörung des Hauses bis zur Wiedereröffnung, kurze Texte kontextualisieren das Gezeigte. Die Ausstellung ist bis Ende Jänner für alle Vorstellungsgäste vor den Aufführungen und in den Pausen frei zugänglich.
Das Buch zur Ausstellung: Im Palast der Selbsterfindung - erhältlich ab 7. November 2025
Anlässlich des 70. Jahrestags der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper erscheint im Molden Verlag das Buch »Im Palast der Selbsterfindung«, das den Bogen von der Zerstörung der Oper bis zum Opernfest 1955 spannt. Die Phase des Wiederaufbaus war nicht nur emotional, sondern auch politisch ein zentrales Thema der jungen Zweiten Republik und ihrer Suche nach einer neuen Identität. So stellte auch die Wiedereröffnung der Oper weit mehr dar als nur einen außergewöhnlichen Opernabend: Sie war der Inbegriff eines Neubeginns, mit all den Hoffnungen, Wünschen und leider auch Verdrängungen, Leugnungen und Beharrungen.
Essays zu diesem Stück Zeitgeschichte in all seinen Facetten sowie eine Vielzahl bisher selten gezeigter Fotografien erzählen das Jahrzehnt des Wiederaufbaus im Spiegel der parallel dazu vollzogenen Brüche und Kontinuitäten neu. Der Bogen der Texte spannt sich von der erschreckenden Vorgeschichte ab 1938 über Fragen zur Identitätsgeschichte und zum »Mythos Staatsoper« bis zur Architektur des wiedererbauten Hauses und unheilvollen Kontinuitäten in der Person von Künstlern wie Karl Böhm oder Rudolf Eisenmenger und zur Spielplanpolitik 1945 bis 1955. Mit Beiträgen von Gerald Heidegger, Oliver Rathkolb, Anna Stuhlpfarrer, Sabine Plakolm-Forsthuber, Iris Frey, Andreas Láng und Oliver Láng sowie Susana Zapke.
Das Buch ist ab 7. November 2025 im ausgewählten Fachhandel sowie in der Oper selbst (bei Hamtil & Söhne unter den Arkaden am Herbert-von-Karajan-Platz) erhältlich.
Gedenktafel
Am 5. November, genau 70 Jahre nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, wird eine Gedenktafel enthüllt, die an jene Opfer des NS-Regimes erinnert, die am Haus tätig waren. Die Tafel befindet sich rechts neben dem Haupteingang im Arkadengang der Oper. Über dem Schriftzug zeigt sie eine Arbeit von Käthe Kollwitz – »Die Klage«, entstanden in den Jahren 1938-41.
Das Käthe-Kollwitz-Museum zum Relief: »Die dargestellte Trauernde, die ihr Gesicht zum Teil mit den Händen verdeckt, trägt die Züge von Käthe Kollwitz. Unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur kommt besonders der über den Mund gelegten Hand eine erhöhte Bedeutung zu. Sie ist als eine Verurteilung zum Schweigen zu verstehen und entspricht der damaligen Situation der Künstlerin, die von ihrem Publikum ferngehalten wird, indem man sie erfolgreich daran hindert, ihr Werk in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Als ich die Klage machte, stand ich unter dem Eindruck von [Ernst] Barlachs Tod und dem furchtbaren Unrecht, das er erlitten hatte. Das furchtbare Unrecht, das Menschen einander zufügen, hat in den drei Jahren [seit Barlachs Tod] sich fortgesetzt und setzt sich noch fort …< (Käthe Kollwitz, Briefe der Freundschaft, an Trude Bernhard, 1941) Dieses »Unrecht« bezieht sich auch auf die zunehmende Judenverfolgung, die Käthe Kollwitz aus der Nähe miterleben muss, da die ihr eng vertraute Schwester Lise mit dem jüdischen Ingenieur und Komponisten Georg Stern verheiratet ist und vier Kinder hat. Er stirbt bereits im März 1934.«
Neue TV Dokumentation: Wiener Staatsoper - Weltbühne für Österreich - 5. November 2025, 22.30 Uhr, ORF 2
So richtig frei war Österreich 1955 erst, als am 5. November 1955 die Oper wieder ihren Spielbetrieb im Haus am Ring aufnahm – so die Grundthese der neuen Dokumentation »Wiener Staatsoper – Weltbühne für Österreich« (52 Minuten, Regie: Alexandra Venier, Buch: Gerald Heidegger und Alexandra Venier). Dieser Film stellt sich der Frage, warum ausgerechnet die Staatsoper für die Bildung der österreichischen Identität – über verschiedene politische Systeme hinweg – so prägend werden konnte.
Im Moment der Eröffnung des Hauses am Ring in 1869 hatte das Habsburgerreich seine politische Vormachtstellung innerhalb Europas im Grunde bereits eingebüßt, zudem schien zunächst kaum jemand mit dem Erscheinungsbild des neuen Gebäudes glücklich. Dennoch wusste sich Österreich über den Betrieb dieser neuen Oper als Kulturgroßmacht zu positionieren. Über alle Zeitbrüche hinweg, 1918 oder auch 1945, diente die Oper als Rückgriff, um wieder eine Idee von Österreich zu finden, aber ebenso dafür, von eigenen Mitverantwortungen abzulenken.
Erich Boltensterns Innenraum der Oper wurde 1955 zum Ausdruck eines ewig gültigen Österreich-Verständnisses, hätte aber auch anders aussehen können, wie die Dokumentation verdeutlicht. Wer Österreich verstehen will, kann mit diesem Film ins Getriebe einer Institution schauen, in der sich heute internationale Stars die Klinke in die Hand geben – und selbst oft verwundert sind, wie sehr sich ein ganzes Land mit diesem Theater identifiziert.
Premiere: Fidelio - 16. Dezember 2025
Am 5. November 1955 wurde die Wiener Staatsoper mit einer Vorstellung von Ludwig van Beethovens Fidelio feierlich wiedereröffnet – ein Werk, das gemeinhin als Sinnbild für Hoffnung, Geschwisterlichkeit und Freiheit gesehen wird, gleichzeitig aber immer wieder, und ganz besonders in der NS-Zeit, ideologisch missbraucht wurde.
Gerade auch diesem Aspekt der Vereinnahmung widmet sich die von Regisseur Nikolaus Habjan inszenierte Neuproduktion, die von Franz Welser-Möst musikalisch geleitet wird. Es singen u. a. Malin Byström (Leonore), David Butt Philip (Florestan), Christopher Maltman (Don Pizarro) und Tareq Nazmi (Rocco), eine detaillierte Premierenaussendung folgt.
Fotos: © Votava / brandstaetter images / picturedesk.com + Archiv der Österreichischen Bundestheater + Molden Verlag + ORF